Raus da, Tür zu! - Teil 1

Sandra Wurster | 22 February, 2023


          
            Raus da, Tür zu! - Teil 1

>> Wie du wieder Oberhand über dein Sein und deine Gedanken gewinnst.

Wir kennen alle bestimmt solche Situationen, die anders verlaufen als verhofft. In der wir uns dann auch gerne mal ungerecht behandelt fühlen und die dann leider unharmonisch enden. Und dann sitzen wir abends auf der Couch, versuchen einen Film zu schauen, doch der wahre Film läuft eigentlich in unserem Kopf ab, loslassen funktioniert da nicht wirklich.

Um das Ganze etwas mehr zu veranschaulichen, nehmen wir den folgenden Fall als Beispiel: Vor einigen Wochen hat mir eine Followerin ein kleines Päckchen zukommen lassen, als Dankeschön unserer intensivieren Gespräche auf Instagram. Sie hatte auf meinem privaten Account des Öfteren versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen, allerdings war ich genau in dieser Woche mit einer ziemlich hartnäckigen Erkältung beschäftigt. Irgendwann las ich ihre letzte Nachricht an mich, in der sie schrieb, dass das Beschenken so keinen Spaß machen würde und sie es leid wäre, mir hinterher zu laufen (da sie eine Nachricht erhielt, dass das Paket beim Nachbarn auf mich wartete). Plötzlich hatte sie meine Aufmerksamkeit und ich antwortete ihr, dass es ziemlich schade sei, dass etwas, das mir Freude bereiten sollte, nun letztendlich eher Druck in mir auslöste. Ich erklärte ihr, dass ich krank sei und Menschen sich - in dem Fall auch sie - etwas gedulden müssten, da es ja hier nicht um Leben und Tod ginge und somit auch die Welt nicht unterginge, falls das Paket an sie zurück gesendet werden würde.

Das war natürlich nicht die Antwort, die sie sich gewünscht hatte und recht schnell ging das Gespräch von ihr in eine Richtung, wovon ich einfach kein Teil mehr sein wollte (meine Selbstliebe sei nicht aufrichtig, sie würde mir und Bauchfrauen nun entfolgen, ich wäre „privat“ anders als ….- klassisches emotionales Erpressen).

Daraufhin blockierte ich sie.

An dieser Stelle ist mir sehr wichtig darauf einzugehen, dass sie meinte, „meine Selbstliebe sei nicht aufrichtig“. Selbstliebe bedeutet auch für sich einzustehen, vor allem wenn es unbequem wird. Es fühlt sich auf den ersten Blick wesentlich angenehmer an, nicht anzuecken, gemocht zu werden und es allen recht zu machen. Dabei ist Orientierungslosigkeit und Übelkeit vorprogrammiert. Wenn du nicht rumgeschubst werden willst, solltest du aufhören, dich wie ein Ball zu benehmen!

Meine Bedürfnisse, mein „Gebraucht-Werden“ vor die Bedürfnisse eines anderen zu setzen, war jahrelanges Üben.

Und dennoch brodelte es abends in mir, zwar war ich stolz auf mich, dass ich bewusst einen Raum (Chat) verlassen habe, der mir nicht diente und dennoch kursierten in mir unrealistische Szenarien. Wie unter anderem, dass die Followerin nun die Öffentlichkeit und die Presse alarmierte, um ihnen ihre Negativ-Erfahrung mit mir zu präsentieren (Ist es nicht charmant, wie wichtig man sich selbst manchmal nimmt…).

Da ich für mich und mein Leben feststellen konnte, dass wenn mich etwas trifft, es mich meistens auch irgendwo und irgendwie betrifft, überprüfte ich diese unrealistischen Szenarien und durchleuchtete die Gedanken dazu. Ich entdeckte recht schnell einen bekannten und glücklicherweise mittlerweile auch recht schwachen Glaubenssatz und zwar, dass ich liebenswerter bin, wenn ich es allen recht machen kann und visionäre Menschen werden von allen gemocht. Puh, was für ein Druck und was für eine super Gelegenheit, diesen Glaubenssatz nun umzukehren.

Na, habe ich gelogen oder kommt dir dieser Glaubenssatz auch noch ab und an in die Quere? Natürlich sorgt unser eigener Gerechtigkeitssinn zusätzlich für eine innere Anspannung. Doch auch wenn ich mich ungerecht gefühlt habe, weil ich krank war und es eben nicht meine Verpflichtung ist, sofort, immer und jedem zu antworten - garantiere ich dir, dass sich „meine“ Followerin auch nicht gerecht behandelt gefühlt hat, später mehr dazu.

Es gibt zwei Sätze, die mir dienen, um meine eigenen Gedanken zu überprüfen und mich aus der aktuellen Stimmung - meistens negativ geprägt - zu befreien.

Doch zuvor ist Annahme wichtig, dass die Situation mich gerade beschäftigt und dass in diesem Fall die Ablehnung der Followerin mir zu schaffen macht.Kurze Info am Rande, vor jahrhunderten Jahren konnte Ablehnung dein Ansehen in der Gesellschaft und dein Überleben erheblich bedrohen. Die Angst kann auch heute noch fast identische Gefühle in uns auslösen, doch die Realität ist eine andere.

So und nun zu den Fragen. Die erste lautet: Gibt jeder Mensch sein Bestes?

Eine tiefe philosophische Frage, die die Autorin Brené Brown das erste Mal in mein Leben brachte. Und ja, lass’ dir gerne Zeit, so schnell ist die vielleicht nicht zu beantworten, denn überspitzt würde das auch bedeuten, dass der Vater, der seine Kinder fast immer zu Tode verprügelte, sein Bestes gegeben hat; die Mutter, die sich bereits um 11:00 Uhr am Vormittag betrank, ihr Bestes gab und die eigene Schwester, die einem den Freund ausspannte, eben auch ihr Bestes gab… Puh. Doch die Frage heißt nicht, denkst du, dass jeder Mensch das gab und gibt, was für dich, in deiner Welt, in deinen Augen das Beste ist.

Und dennoch sorgt diese Frage und vielmehr die Antwort für Verbindung, denn ich bin der festen Überzeugung, dass in dem Fall mit „meiner“ Followerin sie ihr Bestes gegeben hat. Und das wiederum lässt mich aus meinem eigenen starrsinnigen Gerechtigkeitssinn aussteigen. Denn stecken wir im Gerechtigkeits-Modus fest, schieben wir ständig Schuld hin und her, meinen, über andere richten zu können und die Wahrheit zwischen richtig und falsch zu besitzen. Dieser Modus lässt wenig Raum für Verbindung und neue Antworten/ Perspektiven.

Probier’ es doch demnächst gerne mal aus, falls du wie ich auch öfter mit dem Zug unterwegs bist und dann das „Glück“ hast, hinter dir jemanden sitzen zu habe, der sich ständig bewegt und dir somit auch eine unruhige Fahrt beschert. Frage dich: Gibt die Person ihr Bestes?

Uns fehlen nämlich oft Unmengen an Informationen, um überhaupt darüber urteilen zu können, ob die Person hinter uns nicht still sitzen kann, weil sie vielleicht gerade von einer Beerdigung kommt oder von einer Hochzeit, etc. …

Wieso dann überhaupt noch bewerten und richten?

Die zweite Frage ist vielmehr eine bekannte Methode von Byron Katie, „The Work“. Über das spannende Leben von Byron Katie zu sprechen, würde den Rahmen dieses Blog-Artikels eindeutig sprengen, aber fühl’ dich gerne eingeladen, ihre Geschichte kennenzulernen.

Runter gebrochen besteht „The Work“ aus drei Fragen, die es in sich haben:

  1. Bist du dir sicher, dass was du fühlst und gerade denkst stimmt?
  2. Kannst du 100% sicher sein, dass das, was du denkst und fühlst, wirklich die absolute Wahrheit ist?
  3. Und wer bist du und wie fühlst du dich, wenn du diesen Gedanken nicht mehr denkst, ihn los lässt?

 

>> Lass uns das gerne anhand unseres Falles mal durchgehen.

1. Frage, bin ich mir sicher, dass das, was ich gerade denke stimmt?

- Ja schon, ich finde, dass sie mich in meiner aktuellen Situation nicht gesehen hat.

2. Frage, kann ich mir zu 100% sicher sein, dass das die absolute Wahrheit ist?

- Naja, die eine Wahrheit gibt es nicht. Und 100% ist schon eine Hausnummer, also meinen Körper würde ich dafür nun nicht verwetten - also nein.

3. Frage, wie fühlt es sich an, wenn ich diesen Gedanken also nicht mehr denke?

- Oh, dann wird es leichter…

 

(Diese Fragen dienen dir hervorragend, um dir bewusst zu werden, dass nicht alles was du denkst automatisch die Wahrheit ist, eine super spannende Methode, um deinen Gedanken intensiver zu begegnen.)

Wie gesagt, das ist nur die Kurz-Variante, es gibt auch noch die Möglichkeit, die erste Antwort umzukehren und jetzt wird es super spannend, aufpassen!

Kann es sein, dass ich „meine“ Followerin nicht gesehen habe? Unter anderem, weil ich vielleicht voll in meinem „Krankheits-Schmerz“ war und deshalb mit einer etwas härteren Energie in die Kommunikation gestartet bin als gewollt oder als sonst? JA!

Hätte es mich wirklich die Welt gekostet, vorab zu sagen - Oh wow, vielen Dank! Wie aufmerksam von dir, bin schon gespannt, was du mir geschickt hast, aktuell bin ich krank und kann mich nicht darum kümmern, doch sobald es mir besser geht, gehe ich zu meinem Nachbarn? Ist das nicht eine völlige andere Energie? Nicht, dass wir Arschloch-Benehmen oder emotionale Erpressung akzeptieren müssten, ich glaube, dass es gar nicht soweit gekommen wäre, wenn ich anders reagiert hätte. Und versteh' mich nicht falsch, wir sind Menschen, ich habe mich meines Erachtens nicht daneben benommen, nur bin ich aber auch nicht wirklich auf sie eingegangen und zuvorkommend gewesen.

Denn warum hatte sie plötzlich an Tag 5 meine Aufmerksamkeit- höchstwahrscheinlich, weil ich mich grundsätzlich irgendwie bereits schuldig fühlte (meinem Team gerade keine gute Stütze sein zu können, meine To-Do-Liste nicht wie geplant abarbeiten zu können und und und…) und ich somit mich etwas angegriffen fühlte, dabei wusste ich nicht einmal, ob sie im Wissen davon war, dass ich krank war.

Und natürlich können wir hier wieder in der endlosen und unnötigen Schuld-Debatte feststecken bleiben, aber somit gebe ich doch eindeutig auch meine Macht ab. Andere werde ich nie verändern, aber wenn ich mir mein Verhalten und meine Gedanken genauer anschaue, werde ich immer mehr über mich erfahren und das kann letztendlich auch dafür sorgen, dass ich bestimmte Situation langfristig anders angehen werde. Und ja, die meisten Streitereien und Missverständnisse entstehen, weil sich zwei Menschen von einander nicht gesehen fühlen…

Rumi sagte es wunderschön: „Gestern war ich klug und wollte die Welt verändern. Heute bin ich weise und möchte mich verändern“.

Ein paar Fakten:

  • Annahme geht dem „Loslassen" immer voraus.
  • Ablehnung darf weh tun, vor vielen Jahrhunderten konnte Ablehnung unser Überleben bedrohen. Diese Angst nehmen wir oft heute noch wahr, die Realität ist eine andere.
  • Disharmonie ist nicht unbedingt schlecht, besonders weiblich gelesenen Personen wird der emphatischere Part in der Gesellschaft zugeschrieben. Somit wird vorausgesetzt, dass wir uns ständig um andere sorgen und kümmern müssten, da bleibt wenig Energie für die eigenen Bedürfnisse. Selbstliebe bedeutet auch, für sich selbst einzustehen wenn es unbequem ist und wird, das setzt das „Aushalten“ von Disharmonie voraus. Nur weil etwas fremd und ungewohnt ist, ist es nicht immer schlecht und falsch.
  • das, was du anderen insgeheim vorwirfst - überprüfe, ob du dies nicht unbewusst getan hast

Teil 2 folgt...

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